el tiempo pasa…

mucho gusto
el tiempo pasa…
Wenn schon mal im Winter Sommer ist – 12.000 km fern der kalten heimatlichen Gefilde – dann ist Leben auf den Straßen. Ein Spaziergang über den wöchentlich stattfindenden Kunstmarkt Fería de las Artesanías und anschließend zu später Stunde auf dem Terrassendach einer Bar noch schnell mit den neuen alten Freundinnen und Freunden etwas essen. Diesmal keine Empanadas. Aber mit viel Vergnügen!
Disfrutan de la vida 😀
Straßenbummel – irgendeiner filmt ja immer 😉
An Sommerabenden darf natürlich die Musik nicht fehlen…
(tom). Das oft beiläufige Erzählen von Geschichten aus dem Leben gehört hier in Südamerika zum Alltag. Egal wen man trifft, nach kurzem ‚Aufwärmen‘ geht es los, am einfachsten natürlich mit Fußball. Aber schon ein Bild des argentinischen Papstes Franziskus zu Ostern am Straßenrand ergibt eine short story – hier in seiner Heimat ist er längst nicht bei allen beliebt. Zum einen hat er Argentinien seit Amtsantritt noch nicht besucht, wohl aber die Chilenen und Peruaner, zum anderen meint unser taxista, er kümmere sich ja nur um die Armen und um die auf Irrwegen, aber nicht um die hart arbeitenden Leute wie ihn. Und dennoch baumelt wie bei allen seiner Zunft ein bemerkenswertes Holzkreuz mit Kette am Rückspiegel. 
De donde son? Ah, alemanes! Das ergibt eine weitere Erzählung. Von mi hermana, die einen Deutschen geheiratet hat und dann für etliche Jahre in einer der immer noch existierenden deutschen Siedlungen verschwand. Im Grenzland zwischen Paraguay und Brasilien mit dem schönen Namen Eldorado. Da gibt es auch heute noch das colegio privado Hindenburg, eine zwar geförderte, aber private Bildungseinrichtung. Und so erzählt der gute Mann die Geschichte seiner Schwester und ihrer Kinder, eine Art Assimilation aus seiner Sicht und bei uns stellt sich ein deutliches Magengrummeln ein. Schließlich ist aber doch noch alles besser geworden. Heute ist seine Schwester glücklich. 
Mit gemischten Gefühlen erlebe ich die vielen barrios cerrados – von hohen Zäunen umgebene Wohngebiete, gesichert durch Kameras und private Sicherheitsdienste. Im Prinzip keine gute Sache, erzählt Daniél, aber ein Ergebnis einer gespaltenen Gesellschaft, in der es faktisch keine Mittelschicht mehr gibt. Wenn man erstmal drin ist, dann kommt es einem alsbald nicht anders vor als irgendwo in Deutschland in einem durchschnittlichen Stadtviertel. Ach ja, dem politicó verde, dem grünen Politiker sei noch gesagt, dass man hier nur bauen darf, wenn man sich verpflichtet, alle Bäume stehen zu lassen. Selbst hier wirkt das grüne Klischee – mir reicht das nicht.

A propos Politik – beim Lesen der heutigen Zeitungsausgabe musste ich mal wieder feststellen, warum das Ansehen von Politiker*innen derzeit in aller Welt schrumpft. Die hiesigen Senatsabgeordneten bekommen seit Jahren 20 Inlandsfreiflüge pro Monat (!) für ihre Arbeit. Das ist erstmal vielleicht verständlich angesichts der riesigen Entfernungen und des durch Privatisierung vernichteten öffentlichen Fernverkehrs. Allerdings dürfen die diputados jeden nicht genutzten Flug für ca. 140€ rückabrechnen – ähhh? So erhält man dann ein stattliches monatliches Zusatzeinkommen von bis zu 70.000 Ar$ – davon kann die restliche Bevölkerung nur träumen. Immerhin soll das jetzt geändert werden, habe ich mit meinen bescheiden Spanischkenntnissen aus dem Clarín-Bericht herausgelesen.

Die besten Geschichten gibts übrigens beim gemeinschaftlichen Trinken vom Mate 🙂
Man kann, wenn man kann 😉 Der schnellste Aufstieg auf den 7000m hohen Gipfel gelang übrigens einem Deutschen mit Namen „Porsche“. Wat ne Geschichte…
…für unsere sehr Fußball-begeisterten argentinischen Freunde 🙁 vivió una pesadilla – sagt die hiesige Presse, ein Albtraum. Ausgerechnet gegen Spanien, die hier meist als gallegos bezeichnet werden, gab es nichts zu holen, außer einem wertlosen Schriftstück – el papelón. Dabei hat der Trainer einen wohltönenden Namen, Sampaoli – das klingt im TV immer wie St.Pauli, da fühlt man sich wie zu Hause. Aber es ging mal wieder nichts ohne Lionel Messi, auf dem jetzt wieder die ganzen Hoffnungen ruhen werden. Hoffentlich müssen sie dann nicht gegen UNS spielen – da wäre dann ein Tor mehr drin – für UNS 😀 Alles wird gut.
Hier der sportliche Bericht aus der Clarín Deportes
…noch ist der Zug nicht abgefahren!
Für die Kniffelspezialisten unter euch gibt’s ein sportliches Highlight von historischer Bedeutung zu vermelden.
Während zur gleichen Zeit die Albiceleste, Argentiniens Fußballnationalmannschaft, in Madrid mit 1:6 gegen die Gallegos aus Spanien unter die Räder kam, feierte Andreas in Mendoza mit 904 erzielten Punkten einen internationalen kniffelsportlichen Höhepunk in seiner langen, erfolgreichen Karriere: Er ist demnach der erste Spieler, dem der Sprung über die magische 900er-Marke auf dem südamerikanischen Kontinent gelang.
Und wie knapp war das! . . . gelang ihm doch im letzten Durchgang der Partie ein Viererpasch mit Einsen, durch den der Mittel-Bonus und damit der 900er erst möglich wurde.
Sportlicher Olymp und Abgrund, beides haben wir heute erlebt. Ein Europäer in Argentinien ersteres und die Argentinier in Europa letzteres. Aber, amigos queridos argentinos, wie sagte der unnachahmliche Dragoslav Stepanovitsch, seinerzeit Trainer von Eintracht Frankfurt, nach einer krachenden Niederlage 1992:
Klar, dass Thomas und Andreas die Abenddämmerung im Hotelzimmer mit Blick auf die Anden-Skyline Mendozas und dem eisgekühlten Regionalbier „Andes negra“ sehr entspannt genossen haben.
irgendwie sind die Bilder in diesem Beitrag abhanden gekommen 🙁
(andi). . . präsentierten sich Thomas´ Leder-Treter, nachdem sie von Daniél und seinen Bürsten,Tüchern und Schwämmchen inklusive diverser „Mittelchen“ aufopferungsvolle Pflege erfahren hatten. Auf der plaza 9 de julio, dem vitalen Zentrum Saltas mit Kathedrale, Denkmal, Polizeistation, Hotels, Touristen-Information, Museum y mucho más kam er auf uns zu. Jeder kennt das unangehme Gefühl, wenn Einheimische sich aufdrängen mit Nepp-Angeboten, irgendwelchen Dienstleistungen oder schlicht bettelnd um ein paar Pesos bitten. Und du kennst vielleicht auch den kurzen Moment, in dem sich entscheidet, ob du dich öffnest oder verschließt.
Daniél, 32 Jahre alt, seit 15 Jahren verheiratet, Vater von zwei 2 Kindern (12 und 3 Jahre), im Winter Bauarbeiter, im Sommer selbstständiger Schuhputzer, hatte es mit seiner locker-freundlichen und beharrlich-überzeugenden Art geschafft, uns von der Sinnhaftigkeit seines Angebotes zu überzeugen: „Tus zapatos serán de nuevos!“, und ehrlich gesagt, Tom´s Treter konnten´s gebrauchen. Andreas mit seinen zapatillas (Turnschuhen) kamen nicht in Daniéls Visier, sodass dieser (Andreas) mit Eifer Thomas´ anfänglichen Widerstand überwinden und seine Einwilligung zum Putz-Service erreichen konnte;-)
Daniél ist Profi, weiß genau, was er zu tun hat und, wie er das Gespräch in Gang bringt; locker, interessiert, mit wachen Augen . . . auf Augenhöhe. Wir sprechen über Autos, Biersorten, die Arbeit hier und dort, über die kleinen Freuden und großen Sorgen. Daniél bleibt positiv, auch wenn er beschreibt, wie schwer es ist an manchen Tagen, auf seine Kosten zu kommen oder auch nur zu einem vernünftigen Essen. Ein Leben von der Hand in den Mund.
Schon bald kommt sein Schwager dazu und später ein weiterer Kollege der Schuhputzer-Zunft. Es wird viel gelacht. Fast eine halbe Stunde lang erleben wir uns . . . einander nah. Großartig!
Tom´s Schuhe blitzen in der Sonne Saltas, wir wissen mittlerweile auch, wie Frau und Kinder von Daniél aussehen und kennen seine internationale Sammlung von Geldscheinen aus allen Teilen dieser Erde. Daniél ist ein Welt-Bürger. Wir haben viel zum Nach-Denken und Lernen mit auf den Weg bekommen . . . und viel gute Laune, so wie auf diesem Erinnerungsfoto von einem besonderen Moment unserer Reise.
(tom). Die deutsche Fußballbegeisterung ist ja fast sprichwörtlich, seit dem WM-Titel vor 4 Jahren ohnehin. Das größte Lob eines argentinischen Einzelhändlers kam deswegen nicht überraschend: „Bitte nie wieder gegen Deutschland!“ Aber in Sachen Dauer-Fußball-Beschallung übertreffen uns die Hotels, Bars, Restaurants und Foyers in Argentinien um ein Vielfaches. Es gibt quasi jedes Kreisklassenspiel irgendwo in Farbe zu sehen, in jedem Dorf finden sich mehr Stadien als in Hannover. Gestern hat Argentinien wieder einmal seine Favoritenrolle für die Weltmeisterschaft im Juni gefestigt – auf dem camino a rusia wurden die zweitklassigen 😉 Italiener sogar sin Messi (ohne Messi) mit 2:0 geschlagen. Wir hingegen – WIR – äh, La Mannschaft natürlich, trotzten den Ex-Weltmeistern aus Spanien ein typisch deutsches, nüchternes 1:1 ab, was hier natürlich nicht live gezeigt wurde – das wäre wahrscheinlich zu schmerzhaft. Nun ja – lassen wir – WIR 😀 – die anderen doch Trainingsweltmeister sein! Den hiesigen Zeitungsbericht über den Favoriten gibt es hier bei Clarín Deportes.
Zwischenzeitlich haben wir wieder mal in Ruhe gegessen – wie sich das für Weltmeister gehört 😀
(tom). Natürlich wird man in Argentinien auch an vielen Ecken mit Geschichte konfrontiert, meist in Form von Militärdenkmälern und der Glorifizierung von Armeegenerälen. Das ist nicht unbedingt mein Ding. Argentinien hat auch eine dunkle Geschichte, auf die man nicht oft im öffentlichen Raum trifft. Gemeint ist die Militärdiktatur von 1976 bis 1983, der tausende von Menschen zum Opfer gefallen sind, die meisten sind einfach verschwunden – hier heißen sie „Desaparecidos“. Diese Zeit hat große Verzweiflung über viele Familien gebracht, davon haben auch unsere Gastgeber hier berichtet.
In Còrdoba wird an diese Opfer im öffentlichen Raum gedacht, mit Bildern und Namenstafeln der Verschleppten und Verschwundenen in einer Straße in der Nähe der Plaza San Martin. Ergreifend. Geht man unter den Bildern hindurch, spürt man die Zerrissenheit eines Landes geradezu unmittelbar. Erinnerungskultur hilft.

Von der aktuellen Politik wollte ich mich ja mal ein paar Wochen fernhalten, man wird trotzdem eingeholt. Gestern kam unser neuer Außenminister Olaf Scholz zum Treffen der G20-Finanzminister hier an. Argentinien hat aktuell die G20-Präsidentschaft mit Mauricio Macri, dem Staatspräsidenten, der im übrigen nach langer Zeit nicht mehr von den Pèronisten gestellt wird. Kommt gar nicht schlecht an hier, aber viele erwarten, dass auch er nur eine Wahlperiode „überlebt“. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, insbesondere bei den jungen Leuten, kennen wir ja auch aus Europa. In den Ballungszentren ist die Armut deutlich erkennbar – Menschen auf der Suche nach Mahlzeiten, ganz oft auch Kinder 🙁 oder die vielen fliegenden Händler in Straßen und Bahnen. Der offensichtliche Widerspruch sind dann die „barrios cerrados“ – die eingezäunten und bewachten Wohnviertel. Wir haben eines von innen gesehen. Es geht uns gut.